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Im Flor 11
37671 Höxter
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Schülerinnen und Schüler des KWG Höxter präsentierten zum Gedenktag am 80. Jahrestag der Befreiung des KZ Auschwitz (27. Januar 2025) ihre kritischen Auseinandersetzungen mit Personen, die dem NS-Regime direkt oder indirekt nahestanden. „An einer aktiven Auseinandersetzung mit unserer Geschichte kommen wir nicht vorbei“, sagte Eva Greipel-Werbeck im Zuge der Gedenkveranstaltung am Montagabend (27. Januar). Damit stimmte die 2. Vorsitzende der Jacob Pins Gesellschaft den vollen Präsentationsraum im Forum Jacob Pins früh auf die Kernbotschaft des Abends ein: Die Wichtigkeit, auch in den jungen Generationen die Erinnerung an die Verbrechen der Vergangenheit aufrechtzuerhalten.
Vier Gruppen, bestehend aus Schülerinnen und Schülern des König-Wilhelm-Gymnasiums in Höxter, setzten sich bei der Gedenkfeier kritisch mit Personen auseinander, die dem NS-Regime nahestanden oder die Nationalsozialisten ermächtigten. Dabei hinterließen diese Persönlichkeiten auch in Höxter Spuren: In Form von Straßennamen, die noch heute den Namen der kontroversen Personen tragen.
„Zu glauben, mit der Nazizeit nichts mehr zu tun haben zu müssen oder sich nicht sonderlich dafür zu interessieren – so wie es momentan Menschen in unserem Land propagieren – ist schlichtweg falsch“, sagte Höxters Bürgermeister Daniel Hartmann während seiner Ansprache an die Besucherinnen und Besucher im Forum. Diese füllten den Präsentationssaal restlos aus, sodass bei der Veranstaltung extra Stühle ob des großen Besucherandrangs bereitgestellt werden mussten.
Bürgermeister appelliert an gesellschaftliche Verantwortung
Hartmann appellierte unter Applaus an die jungen und alten Gäste: „Es ist unsere Verantwortung, die Erinnerung an die grausamen Verbrechen der Nazis wachzuhalten. Es ist auch unsere Verantwortung, nie zu vergessen, dass es Deutsche waren, die Juden deportierten und ermordeten. Es ist auch unsere Verantwortung, sich mit den Mechanismen der Ausgrenzung auseinanderzusetzen, allen rechten Bewegungen entgegenzutreten und zu verhindern, dass sich dieses dunkle Kapitel wiederholen kann.“
80 Jahre nach der Befreiung des KZ Auschwitz sei man auch heute wieder aufgefordert, sich den bedrückendsten Wahrheiten der deutschen Geschichte zu stellen, so Hartmann. „Auschwitz ist eine Mahnung an die gesamte Menschheit“, erklärt Hartmann mit Blick auf die Gewaltverbrechen an den Insassen. „1,5 Millionen Tote, 438.820 beschlagnahmte Männeranzüge, 836.525 Frauenkleider und 7000 Kilogramm Frauenhaar verdeutlichen die Dimensionen der Entmenschlichung und des Grauens“, sagte Hartmann, der aber gerade in den Einzelschicksalen – die auch im Kreis Höxter vorzufinden sind – die Greifbarkeit der Vergangenheit sieht.
Direkte und indirekte Täter sowie Opfer befanden sich auch in Höxter. Hartmann stellte daher fest: „In diesem Kontext wird auch die für uns alle geltende Frage aufgeworfen: Wie hätte ich mich verhalten?“ Es sei auch an den jüngeren Mitmenschen, die Erinnerungen weiterzutragen. „Auschwitz verpflichtet uns alle immer – gestern, heute und morgen“, sagte Hartmann. Die Entstehung solcher „Orte des Grauens“ wie Auschwitz sei laut Hartmann zurückzuführen auf Gleichgültigkeit und Akzeptanz gegenüber Diskriminierung und Ungerechtigkeit.
Der Bürgermeister beendete seine Ansprache mit einem Satz, den Auschwitzhäftlinge einst für eine Skulptur wählten: Erinnert euch: „Wenn Unrecht geschieht, wenn Menschen diskriminiert und verfolgt werden, bleibt nicht gleichgültig – Gleichgültigkeit tötet.“
Kritisches Hinterfragen von Personen mit Regime-Bezug
Die Schülerinnen und Schüler behandelten anschließend vier Straßennamen in Höxter, die nach Personen benannt sind oder waren, die dem NS-Regime nahestanden oder Anteil an der Machtergreifung der Nationalsozialisten hatten. Dabei beleuchteten sie die Persönlichkeiten Heinrich Sohnrey (Sohnreystraße), Agnes Miegel (Agnes-Miegel-Straße), Ludwig Eichholz (Ludwig-Eichholz-Straße) und schließlich Paul von Hindenburg (Hindenburgwall).
So sei Agnes Miegel, die als Identifikationsfigur der Vertriebenen aus den ehemaligen Gebieten Ostpreußen fungierte, gerade als Verehrerin Adolf Hitlers (etwa durch ihr Gedicht „Dem Führer“) kritisch zu beäugen, während Ludwig Eichholz die NS-Ideologie etwa als Lehrer auch am KWG gefördert habe. Der ehemalige Reichspräsident Hindenburg war schließlich selbst aktiv an der Machtergreifung der Nationalsozialisten beteiligt, sei es durch die Ernennung Hitlers zum Reichskanzler (30. Januar 1933) oder auch durch die Duldung des Ermächtigungsgesetzes (24. März 1933), die eine demokratische Gewaltenteilung der damaligen Weimarer Republik de facto aufhob.
Die Schülerinnen und Schüler wogen jeweils Pro und Kontra zu einer möglichen Umbenennung der Straßen ab und forderten stets die zeitgemäße Vorbildfunktion von Personen an, die mit Straßennamen geehrt werden.
Schicksal der Familie Uhlmann aus Ovenhausen
Zum Abschluss bedankte sich Eva Greipel-Werbeck bei den Schülerinnen und Schülern und ging auf ein lokales Opfer des NS-Regimes ein. Sie erzählte die Geschichte der Familie Uhlmann aus Ovenhausen, deren Mitglieder Norbert und Helene Uhlmann zusammen mit Tochter Ilse unter anderem am 13. Dezember 1942 in das Ghetto nach Riga deportiert wurden. Mutter Helene und ihre Tochter Ilse wurden schließlich 1944 nach Auschwitz deportiert und dort ermordet.
Forum Jacob Pins: Fritz Ostkämper hat Spuren zu allen jüdischen Familien aus Höxter recherchiert
Fritz Ostkämper, viele Jahre Lehrer am KWG Höxter, hat in 30 Jahren die Spuren zu allen jüdischen Familien aus Höxter ausfindig gemacht. Ihre Einzelschicksale sind im Internet auf der Onlineseite des Forums Jacob Pins (http://www.jacob-pins.de) nachzulesen und werden zum Teil auch illustriert. Die nach und nach ergänzten Einzeldarstellungen jüdischer Familien und Personen illustrieren an Beispielen die Lebenswege und Schicksale jüdischer Familien und Einzelpersönlichkeiten in Höxter und den heute eingemeindeten Dörfern. Sie zeigen, wie sich die Juden nach ihrer Emanzipation im Königreich Westfalen seit dem Jahr 1808 und vor allem nach der Mitte des 19. Jahrhunderts und im 20. Jahrhundert nach und nach an wichtiger Stelle in das Leben in Höxter integrieren konnten und als Bürger gleicher Rechte akzeptiert wurden – bis sie von der rassistischen Judenverfolgung des Dritten Reiches in den Konzentrationslagern der Shoah ermordet wurden, wenn es ihnen nicht vorher gelang, aus Deutschland zu fliehen.
Die Darstellungen sind den Familien und Personen gewidmet, die für einen längeren Zeitraum in Höxter und den Dörfern gelebt haben und beziehen in begrenztem Umfang auch die aus der Höxter verzogenen Familienmitglieder mit ein, so weit entsprechende Informationen bekannt sind. Kleinere jüdische Familien werden in alphabetischer Folge in einem Artikel zusammengefasst. Zu einzelnen Juden oder jüdischen Familien, die nur in lockerer Beziehung zu Höxter standen, etwa durch den Besuch des hiesigen König-Wilhelm-Gymnasiums (KWG), oder die aus der Umgebung von Höxter stammten, gibt es auf der Pins-Homepage Informationen. Es werden auch Lebenswege (Flucht, Deportation, Vernichtungslager) nachgezeichnet.
„Ich fand es sehr gut, wie die Schülerinnen und Schüler verschiedenste Aspekte angesprochen haben“, sagte Eva Greipel-Werbeck im Anschluss an die Gedenkveranstaltung. „Diese unfassbaren Opferzahlen des Holocaust werden mit den lokalen Bezügen plötzlich greifbar“, sagt die 2. Vorsitzende. Die Auseinandersetzung der Jugend mit der Vergangenheit sei unerlässlich. „Es ist unsere Geschichte. Wir können nicht sagen, es interessiert uns nicht – die Lehren, die wir aus ihr ziehen, sind die Basis unserer Zukunft.“
Mit dem Gedenktag erhofft sich Greipel-Werbeck - gerade in Anbetracht rechtspopulistischer Entwicklungen in Europa – dass der Gedenktag zum Nachdenken anregt. „Ich wünsche mir, dass die Menschen Anstöße zum Erinnern mitnehmen, aber auch an das Jetzt denken und daraus den Blick in die Zukunft schärfen“, so Greipel-Werbeck.
Text und Fotos: Kevin Müller (Westfalen-Blatt)
König-Wilhelm-Gymnasium Höxter
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